Ein junger Mann sitzt im Kerker und wartet auf seine Hinrichtung. Es ist Reinhard, der sich mit seinem Bruder einer der Räuberbanden anschloss, die um 1800 die Eifel unsicher machten. Berüchtigte Kerle wie „der Fetzer“ und Carl Heckmann sind fortan ihre streitlustigen Gesellen. Seit sie sich von einem zwielichtigen Fremden zu einem Kirchenraub anstiften ließen, scheint der Teufel selbst in ihren Raubzügen die Hand im Spiel zu haben.
Dem Autor Maik Schurkus gelingt eine spannende, detailreiche Erzählung über das Räuberwesen in der Eifel um 1800. Von Aachen bis Köln bindet er tatsächliche Schauplätze und Prozessakten der Zeit in die Erzählung ein.
Autoreninterview mit Maik Schurkus
Mit Ihrem neuen Roman „Die Eifelräuber“ behandeln Sie einen Teil unserer westdeutschen Regionalgeschichte. Was reizt Sie an dem Thema des Räuberwesens im ausgehenden 18. Jahrhundert?
Wenn wir heute von organisierter Kriminalität sprechen, wird oft so getan, als handele es sich dabei um ein „importiertes“ Problem, etwas, das mit der Mafia in Verbindung steht oder der so genannten „Clan-Kriminalität“. Es geht dann auch um „Brennpunkte“ und Problemviertel in den Großstädten. Die Eifel als „Hotspot“ krimineller Taten kommt nur in Schmunzelkrimis vor. In historischer Dimension stellen sich die Orte und Täterkulturen aber eben ganz anders dar. Der Blick in die Geschichte hilft für mich daher dabei, Ursachen und Zusammenhänge anders zu bewerten. Interessant ist dabei, dass Kriminalität, wenn sie denn in zeitliche Ferne rückt, gerne romantisiert wird. Das „lustige Räuberwesen“ des 18. Jahrhunderts findet sich daher vor allem im Kindertheater – dem wollte ich eine Geschichte entgegensetzen, die zwar ganz im Verständnis der Zeit bleibt, aber eben etwas über unser gegenwärtiges Verständnis von organisierter Täterschaft zu sagen hat.
Welche Rolle spielte in Verbindung mit den Bandenaktivitäten die Präsenz der Franzosen im betroffenen Grenzgebiet?
Nach der Französischen Revolution wurde das Rheinland zur „umstrittenen Zone“ und zu einer Region, in der sich verschiedene Rechtsräume überschnitten haben. Nach der Konsolidierung des französischen Staates unter dem Konsulat und später unter Napoleon, hielt – im wahrsten Sinne des Wortes – über Nacht ein neues Rechtsverständnis im Rheinland Einzug, da es inzwischen zu Frankreich gehörte. Die Constitutio Criminalis Carolina wurde durch den Code Civil ersetzt, das bedeutete: Von der Folter zur Ermittlung, von der Menschjagd zur Fahndung, vom peinlichen Verhör zur Zeugenbefragung. Mit Anton Keil gab es zum ersten Mal einen „Chefermittler“ mit Spezialgebiet, der schließlich dem Bandenwesen ein Ende machte. Seine Rolle in der Einführung der modernen Kriminalistik ist auf (später wieder) deutschen Boden nie genug gewürdigt worden, weil er den Preußen als „Franzosenbüttel“ galt. In meinem Roman spielt er – wenn auch als Widersacher der Räuber – eine wichtige Rolle.
Ist der literarische Reinhard ein Räuber par excellence, oder unterscheidet er sich von seinen Zeitgenossen?
Bei den damaligen Räubern gab es, ähnlich wie bei den heutigen organisierten Kriminellen, im Grunde zwei Typen: Die aus Habgier, Abenteuerlust und soziopathischer Veranlagung kriminell wurden, und solche, die in die Kriminalität „abrutschten“. Reinhard gehört zu letzteren: Die Umstände der Zeit, die Not im Schatten des Krieges und die drohende Einberufung in das Militär lassen ihn zum Bandenmitglied werden. Vor allem aber ist da die Bindung an seinen Bruder. Er gerät zuerst „unter die Räuber“. Solche Familien- oder Freundschaftsbande finden sich häufig in den damaligen Räuberbanden. Aus den Gerichtsakten der echten Räuber kann man ersehen, dass viele sehr reflektiert mit ihrem Weg in die Kriminalität umgingen – natürlich auch, um die Gerichte milde zu stimmen. Insofern ist Reinhard ein typischer Räuber. Er ist Opfer (der Zeit) und Täter in einem.
Wie haben Sie konkret gearbeitet, um eine derart detailreiche, literarische Hauptfigur zu schaffen?
Das ausgehende 18. Jahrhundert war der Ursprung vieler literarischer Genre, die wir heute noch kennen, eines davon ist die „Lebensbeichte“ oder der Rechenschaftsbericht einer Person, deren Leben nicht nach den Normen der Zeit verlief. Inspiriert wurde diese literarische Form aus dem protestantisch-pietistischen: Die Gestrauchelten treten vor die Gemeinde, beschreiben ihren gescheiterten Lebensweg und plädieren so auf die Wiederaufnahme in den Kreis der „Rechtschaffenen“. Wir kennen das heute noch aus dem amerikanischen Gerichts-Filmen. Ich hatte also einige literarische Beispiele aus der Zeit, wie etwa das „Tagebuch eines Opiumessers“, eine der ersten Suchtbiografien. Der Roman funktioniert daher als Plädoyer an die Leserschaft oder anders gesagt: Die Leserinnen und Leser treten an die Stelle einer Jury. Für mich war also die Frage: Wie würde ein Mensch sich darstellen, der auf Freispruch und Vergebung hofft? Ob man ihm auch glaubt, muss dann jeder selbst entscheiden.
Welche Rolle spielt die Region „Eifel“ für Sie als Schauplatz?
Zu der Eifel habe ich eine lange familiäre Verbundenheit. Ich bin in Köln geboren und aufgewachsen, die Eifel war daher immer ein beliebter Ausflugsort für uns. In meiner Kindheit sind wir dort noch den tragischen Spuren der Vergangenheit begegnet, etwa den Einschusslöchern in Häuserfassaden, die aus dem Zweiten Weltkrieg stammten.
Bei meinen Recherchen zu einem historischen Krimi, der im Hunsrück spielte, bin ich dann den Räuberbanden der Eifel begegnet. Im Gegensatz zum Schinderhannes, waren mir diese Geschichte unbekannt. Ich fand die Vorstellung reizvoll, dass das, was ich heute als Freizeitwert erlebe – die Eifelwälder – ehemals „Angsträume“ waren. Als Reisender konnte man froh sein, sie sicher durchquert zu haben. An einem ruhigen Tag bin ich durch das Freilichtmuseum in Kommern spaziert. Da gibt es eine kurze Strecke durch einen Wald, bevor man an die nächsten Höfe kommt. Ich war dort allein unterwegs und auf diesem Weg bekam ich einen starken Eindruck, was es bedeutet hat, 1790 unterwegs gewesen zu sein und die Figur des Reinhard kam mir in den Sinn.
Schafft es Reinhard den drohenden Verrat abzuwehren?
Reinhard stammt aus einer stark religiös geprägten Zeit. Für ihn geht es daher darum, sowohl den Körper als auch die Seele zu retten; und er hat natürlich Angst um seinen Bruder – er wird von Anton Keil aufgefordert, selbst zum Verräter zu werden, um den geliebten Bruder von weiteren Taten abzuhalten und seine Seele zu retten. Der Bruder aber würde ihm das vermutlich nie verzeihen. Wie soll er sich entscheiden? Dabei bemerkt er nicht, dass der einzige Freund, den er in der Räuberbande hatte, längst einen Entschluss getroffen hat, der für alle fatal sein könnte.
Das Interview führte Christian Leeck.
Wuppertal, im November 2023.