Roman Flüchtlinge

Syrien-Roman mit 100 % Aktualitätsbezug

Im Oktober 2024 ist der neue Roman von Dirk Hegmanns unter dem Titel "Kriege in der Mitte der Welt" erschienen. Eine auf tatsächlichen Ereignissen beruhende Erzählung über das Wirken und Ringen eines Flüchtlingshelfers im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Inspiriert durch die Ereignisse der 2010er Jahre. Wir haben den Autor gebeten, einige Statements zur Entstehungsgeschichte und Motivation abzugeben.

Syrien Roman

Mit Ihrem neuen Roman „Kriege in der Mitte der Welt“ behandeln sie die politischen Spannungen in der Türkei und in Syrien. Welchen persönlichen Bezug haben Sie zur Thematik?

Ich habe fünf Jahre lang als Landesdirektor einer Hilfsorganisation in der Region gearbeitet und die Flüchtlingsproblematik in all ihren Facetten kennengelernt. Vor allem aber habe ich die politischen Entwicklungen ungefiltert vor Ort beobachten können. Damit meine ich nicht nur den Krieg in Syrien, sondern auch die Ereignisse in der Türkei, die in Deutschland und anderen Ländern nur bruchstückhaft wahrgenommen wurden und werden. Ich konnte während der Zeit dort Flüchtlingsrealität, Kriegstraumata, aber auch massiv eingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit quasi aus erster Hand erfahren. Dies waren sehr intensive, teils extreme Ereignisse für mich.

Welche Vision trägt der Hauptdarsteller Richard im Roman mit sich?

Richard ist ein Mensch, der seine Arbeit mit Leidenschaft macht, aber zu oft den Rahmen, innerhalb der sie stattfindet, ausblendet. Die Versorgung von Flüchtlingen, die vor dem grausamen Krieg in Syrien flüchten, steht für ihn im Vordergrund. Dafür stellt er selbst seine politischen Überzeugungen zurück. Erst allmählich stellt er die Entwicklung der Türkei zur Autokratie in Frage, und er wendet sich mehr und mehr gegen die Verhältnisse.

Inwiefern wird Richard durch die iranische Fotografin in seinem Vorhaben bestärkt oder gar gehindert?

Die Fotografin Faribaa nährt sozusagen den Keim des Protests in ihm, der bereits versteckt vorhanden sein mag, aber nun immer stärker hervortritt. Sie hat eine Art Katalysatorfunktion, die Richard zum Umdenken und Handeln veranlasst.

Kann Ihr Roman auch als regime- oder gesellschaftskritisch gedeutet werden?

Unbedingt! Es sind ja gerade die antidemokratischen Tendenzen in der Türkei und der brutale Krieg in Syrien, die mich dazu bewegt haben, diesen Roman zu schreiben. Er ist insofern auch eine Aufforderung, sich gegen solche Tendenzen zu stellen und Initiative zu ergreifen, in welchem Land auch immer sie stattfinden.

Womit muss der Leser rechnen, wenn es um den Spagat zwischen Liebe und Überlebenskampf der Hauptprotagonisten geht?

Autor für Gegenwartsromane

Die Hauptprotagonisten befinden sich mitten in einem Krisen- und Kriegsgebiet und damit in einer Situation, die für beide gefährlich werden kann. Für Richard, weil er – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – von Bombenanschlägen oder Raketen des Islamischen Staats getroffen werden kann, und Faribaa, weil sie sich als Kriegsfotografin einen Namen machen will. Aber beide planen für eine Zukunft ohne Bedrohungen, und daraus schöpfen sie Kraft.

Liefern Sie in Form der beiden Hauptfiguren Richard und Faribaa auch ein Lösungsmodell für den Kriegskonflikt?

Für die Kriege, die derzeit in der Region stattfinden, können die Protagonisten natürlich keine Lösung anbieten. Doch beide wollen zumindest ihren Beitrag dazu leisten, dass Öffentlichkeit hergestellt wird und die ihnen wichtigen Themen die entsprechende Aufmerksamkeit – auch von Entscheidungsträgern - erlangen. Ob und wie ihnen das gelingt, will ich hier aber nicht verraten.

Welchen Appell richtet Ihr Buch an den Leser?

Es gibt im Moment eine ganze Reihe von Kriegen auf der Welt, und ich denke, dass angesichts der täglichen Nachrichten viele Menschen in Deutschland schon kriegsmüde sind. Die Aufmerksamkeit und das Interesse dafür lassen nach. Aber Nachrichten und Dokumentationen berichten überwiegend sachlich über die Ereignisse, die dann kaum noch die Emotionen ansprechen. Der Roman nimmt sich der Emotionen an, seien es die des Flüchtlingshelfers, der Flüchtlinge selbst oder des Widerstandkämpfers in Syrien. Er widmet sich den Fragen, was es für die einzelnen Akteure heißt, unter autokratischen Verhältnissen zu leben, aus der Heimat zu fliehen oder sich für den Widerstand zu entscheiden. Kaum jemand entkommt den traumatischen Erfahrungen, die damit verbunden sind. Der Roman ist ein Plädoyer dafür, Demokratie nicht als Selbstverständlichkeit zu betrachten, sondern sich aktiv dafür einzusetzen. Ich denke, die Demokratie ist heutzutage die stärkste und zugleich angreifbarste Regierungs- und Herrschaftsform. Die stärkste, weil sie Partizipation und Transparenz garantiert. Die angreifbarste, weil sie das Untolerierbare tolerieren muss, also auch ihre Feinde, solange diese sich demokratischer Instrumente bedienen, selbst wenn sie auf eine Schwächung der Demokratie oder gar Abschaffung gerichtet sind. Unsere Freiheit und unsere Werte gibt es nicht umsonst, man muss sich für sie einsetzen und manchmal auch um sie kämpfen.

Das Interview führte Christian Leeck.
Wuppertal, im September 2024.

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