Mittelalter Roman

Die These einer Nibelungendichterin - Dr. Albrecht Classen im Gespräch

"Als Mediävist interessiert es mich sehr, wenn ein neuer Roman nicht nur im deutschen Mittelalter spielt, sondern wenn zugleich das berühmte Nibelungenlied  als Rahmen dient, obwohl diese Formulierung nicht ganz richtig ist. Der Ausgangspunkt für Conny Burians faszinierenden literarischen Entwurf war eine etwas absurde These Berta Lösel-Wieland-Engelmanns von 1980, dass der anonyme Dichter ein Frau gewesen sei, was in der Forschung keinerlei Widerhall gefunden hat und auch jeglicher Evidenz ermangelt.

Darum aber geht es hier nicht, denn Burian hat ein fiktionales Werk geschrieben, das am Ende daraufhin zielt, die Entstehung dieses Heldenepos aus neuer Sicht zu deuten und zugleich den Schicksalsweg der Protagonistin, Hilde, nachzuzeichnen, der sich als sehr kompliziert und problematisch erweist, was es hier fast unmöglich macht, knapp eine Inhaltsangabe zu liefern. Die Entstehung des Nibelungenlieds wird thematisiert, und Hilde ist keineswegs die Dichterin; vielmehr arbeitet sie als Schreiberin, die die literarische Erfindung eines todkranken Lorenz von der Aue aufzeichnet und weitergestaltet, obwohl es ihr eigentlich aus vielerlei Gründen nicht erlaubt ist, sich literarisch oder als Kopistin zu betätigen, abgesehen von religiös-didaktischen Werken.

Ich hatte eine sehr gute Lektüreerfahrung und freue mich, dass das Nibelungenlied auf so kreative Art und Weise von Burian verarbeitet wurde, auch wenn ungemein viel umgestellt und neu behandelt wird. Die Autorin hat offensichtlich intensiv recherchiert, sich dann dennoch dazu entschieden, ihren Stoff kreativ neu zu gestalten und sich nicht in eine literar-historische Zwangsjacke stecken zu lassen. Die Nibelungendichterin erweist sich als gelungene fiktionale Arbeit und ist durchaus heutigen Lesern zu empfehlen, die dabei vielleicht sogar Appetit auf die Literatur des Mittelalters bekommen könnten."

(Auszüge aus: Albrecht Classen, TRANS-LIT2, 2024)

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