Der Sturz des Assad-Regimes. Der Velberter Autor Samer Al Najjar spricht sich für mehr Zuversicht aus

Der Sturz des Assad-Regimes. Der Velberter Autor Samer Al Najjar spricht sich für mehr Zuversicht aus

Es ist der 8. Dezember 2024. Sturz des Assad-Regimes. Nach über einem halben Jahrhundert kommt eine untröstliche Ära im Nahen Osten zum Ende. Noch am Tag des Umsturzes feiern sich Täter des Regimes als Helden ihrer Visionen. Doch innerhalb von Sekunden wandelt sich das Rot des Lippenstifts in tiefe Blutschuld.

Kraftvolle Kurzgeschichten machen diesen Geschichtenband zu einer ganz besonderen Lektüre. Der Velberter Schriftsteller Samer Al Najjar musste 2012 selbst seine Heimat verlassen und lässt nun durch sein literarisches Werk an seinen Gedanken und Wünschen teilhaben. Es sind Gefühle der Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit und des eindrucksvollen Wunsches nach Heimat und Dazugehörigkeit, die vor dem inneren Auge des Lesers entstehen.

Themen zu Syrien, Flucht und Migration

Historische Romane Syrien

Mit seinem neuen Geschichtenband „Lippenstift und Blut“ erzählt Samer Al Najjar mehr als nur das Leid der syrischen Gesellschaft unter Assad. Worum handeln seine Kurzgeschichten?

Er antwortet wie folgt: „In meinen Kurzgeschichten setze ich mich mit einer Vielzahl von Themen auseinander, die weit über die Grenzen der syrischen Gesellschaft hinausgehen. Krieg, Flucht, Zugehörigkeit, Liebe, Armut und Ungerechtigkeit sind zentrale Motive, die sich wie rote Fäden durch meine Werke ziehen. Ich versuche, universelle menschliche Erfahrungen in den Mittelpunkt zu stellen und dabei die individuellen Schicksale greifbar zu machen. Diese Themen berühren nicht nur die syrische Bevölkerung, sondern spiegeln globale Herausforderungen und Emotionen wider, die Menschen unabhängig von ihrer Herkunft betreffen.“

Die erste Geschichte „Lippenstift und Blut“ hat der Autor im November 2024 verfasst, einer Zeit, in der die Lage in Syrien besonders grausam war. Die Hoffnung auf Veränderung war für fast alle Syrerinnen und Syrer längst erloschen. Mit dieser Erzählung will er das Leid der politischen Gefangenen in Syrien beleuchten, indem er die Perspektive eines Gefängniswärters einnimmt und dessen scheinbar normalen Alltag schildert.

Doch plötzlich, am 8. Dezember, bricht das syrische Regime zusammen. Zahlreiche unschuldige Häftlinge werden befreit, doch die Geschichten von Hunderttausenden bleiben ungewiss – sie verschwinden spurlos, als hätte es sie nie gegeben.

Wie wichtig ist das Thema der Flucht über den Libanon, die Türkei und das Mittelmeer in diesem Geschichtenband? Die Flucht war in den letzten 13 Jahren ein zentraler Bestandteil des Lebens vieler Syrerinnen und Syrer. In den Kurzgeschichten versucht Samer Al Najjar, den tiefen Wunsch dieser Menschen nach Sicherheit einzufangen – das verzweifelte Streben nach einem Ort, an dem sie frei von Gewalt und Angst leben können. Doch das Leid endet nicht mit dem Erreichen eines vermeintlich sicheren Hafens.

Fluchterfahrungen - Autobiografische und autofiktionale Elemente

Syrischer Autor Samer Al Najjar

Die Erfahrungen von Krieg, Verlust und Vertreibung hinterlassen Spuren, die oft unsichtbar sind, aber die Seele der Menschen über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, quälen. Diese Narben, die in der äußeren Welt vielleicht verblassen, bleiben tief im Inneren bestehen – als ständige Begleiter in einem neuen Leben, das nie vollständig unbeschwert sein kann.

Mit seinen Geschichten möchte Samer Al Najjar nicht nur die äußeren Kämpfe der Geflüchteten zeigen, sondern auch die inneren Konflikte und das Ringen um Heilung. Es ist ein Versuch, die unsichtbaren Wunden zu beleuchten, die auch in der Sicherheit eines neuen Zuhauses weiterbestehen und das Leben prägen.

Natürlich Spiegeln sich in den Kurzgeschichten auch die Wünsche und Gedanken des Autors wider. In vielen seiner Kurzgeschichten finden sich sowohl seine tiefsten Sehnsüchte als auch seine größten Ängste wieder. Einige Geschichten erzählen von Erlebnissen, die er gern gemacht hätte – wie kleine Fluchten in eine Welt, die er sich wünscht. Andere hingegen sind düstere Spiegelbilder seiner schlimmsten Albträume, die ihn beschäftigen und die er durch das Schreiben zu verarbeiten versucht: „Das Schreiben ist für mich ein Ventil, ein Weg, mich mit meiner inneren Welt auseinanderzusetzen, die manchmal von Hoffnungen, manchmal aber auch von Ängsten und Zweifeln geprägt ist. So wird jede Geschichte zu einem Teil von mir – ein Stück meiner Wünsche, Gedanken und Träume.“

„Staub“ ist eine seiner Geschichten, die ihm persönlich sehr am Herzen liegt. Der Staub symbolisiert in der Erzählung das Graue, das Unklare und Beklemmende – eine Metapher für die Unsicherheit, die Angst und die Verwirrung, die das Leben vieler Syrerinnen und Syrer seit Jahren prägt. Dieser Staub legt sich auf alles: auf die Erinnerungen, auf die Hoffnungen und sogar auf die Identität der Menschen.

Zuversicht für Syrien

Der Sturz des Assad-Regimes ist zweifellos ein bedeutender erster Schritt in Richtung einer besseren, freien Zukunft für Syrien. Aber der Staub, den Jahrzehnte der Unterdrückung, des Leids und der Gewalt hinterlassen haben, wird sich nicht so schnell legen. Es braucht Zeit, Mut und einen langen Atem, um die tiefen Narben zu heilen, die sowohl in der Gesellschaft als auch in den Herzen der Menschen zurückgeblieben sind.

Lesung Roman zu Syrien

Wie ist der Autor ursprünglich ans Schreiben gekommen? Schon als Kind liebte er die fantastischen Erzählungen und Geschichten seiner Eltern und Großeltern. Irgendwann begann er, Bücher zu lesen. Doch das Schreiben an sich begann in seiner frühen Jugend. Als er Teenager war, schrieb er seine erste Kurzgeschichte, hörte aber schnell wieder auf, da er das Interesse seiner Umgebung nicht wecken konnte. Dann begann er, Lieder und Gedichte zu verfassen, bis er nach dem Ausbruch der syrischen Revolution 2011 wieder anfing, literarische Texte auf Arabisch zu schreiben. Später, als er 2014 begann, in Deutschland Deutsch zu lernen, versuchte er, seine ersten deutschen Texte zu schreiben. Ein Beispiel für diese ersten deutschen Kurzgeschichten ist „Die salzige Heimat“.

Samer Al Najjars Kurzgeschichten fordern den Leser heraus, über die gewohnten Grenzen hinauszudenken. Sie sind nicht nur Erzählungen, sondern Einladungen zu einer Reise durch die verborgenen Winkel menschlicher Existenz: „Ich möchte den Leser fragen: Was würde er tun, wenn er plötzlich mit der eigenen Identität, der eigenen Vergangenheit oder der eigenen Moral konfrontiert wird?“

Die Geschichten werfen Fragen auf, die Antworten suchen – aber nicht unbedingt klare Antworten bieten. Sie zielen darauf ab, den Leser zu bewegen, seine eigenen Überzeugungen zu hinterfragen, Mitgefühl zu entwickeln und sich der Realität derer bewusst zu werden, die in den Schatten der Gesellschaft leben. Und vielleicht, nur vielleicht, wird der Leser nach der letzten Seite mit einem anderen Blick auf die Welt zurückbleiben.

Das Buch ist in gedruckter Form und als E-Book hier erhältlich!

Das Buch "Lippenstift und Blut" ist im Buchhandel sowie bei uns im Verlag erhältlich, als gedrucktes Buch (ISBN 978-3-910347-62-5) und als EPUB (ISBN: 978-3-910347-63-2).

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