Zum 1. Oktober 2024 erscheint der zweite Teil der fünfbändigen Familiensaga aus der Feder von Gabriele Bagge. Ein historischer Roman, der nicht nur für Freunde der Handwerksgeschichte geeignet ist, sondern für all die Leser, denen das Thema der Emanzipation der Frau unter die Haut geht. Im Folgenden wird das Interview mit der Autorin wiedergegeben und auf die persönliche Schreibmotivation vor dem Hintergrund heutiger Debatten über Gleichberechtigung eingegangen.
Mit Ihrem neuen Buch „Ewig ist so lang“ setzen Sie die fünfteilige Familiensaga um Sophia Mohr und Anton Auling fort. Welches Spannungsmoment begleitet den Leser des ersten Bandes bei der Lektüre dieses zweiten Bandes?
In erster Linie fragt sich der Leser sicherlich, ob es den beiden Protagonisten Sophia Mohr, Tochter eines Perückenherstellers aus Diepholz und Anton Auling, Wandergeselle im Goldschmiedehandwerk, gelingen wird, einen gemeinsamen Weg zu finden, ohne ihre beruflichen Ambitionen aus den Augen zu verlieren.
Schon für Anton ist es nicht einfach, sein Ziel, Goldschmiedemeister zu werden, zu verfolgen. Während seiner Gesellenwanderung über Bremen und Hamburg bis nach Lübeck muss er mit Unwegsamkeiten kämpfen, die ihn nicht selten daran zweifeln lassen, ob er sein Ziel erreichen wird.
Für Sophia ist es geradezu ein unmögliches Unterfangen, sich mit einer kleinen Werkstatt selbstständig zu machen, zu groß sind die Hindernisse, die sich ihr entgegenstellen. Zudem steht sie vor der Herausforderung die Möglichkeiten auszuloten, wie sie zum einen ihren Wunsch nach beruflicher Verwirklichung umsetzen kann, ohne dabei ihre Vorstellung von einem Familienleben aus den Augen zu verlieren.
Die Spannung liegt sicher darin auszuloten, ob es den beiden gelingt, zueinander zu finden, ohne das eigene Ziel aufgeben zu müssen.
Welche Lebenswelt liegt den beiden Protagonisten Anton Auling und Sophia Mohr zugrunde?
Zum Ende des 18. Jahrhunderts ist die Handwerkswelt in Norddeutschland noch bestimmt von den starren Regeln der Zunft. Ein Handwerksgeselle, der kein Meistersohn ist oder kein bürgerliches Elternhaus hat, ist im Prinzip von vornherein davon ausgeschlossen, einen Meisterbetrieb führen zu können.
Anton Auling, Goldschmiedegeselle, ist zwar der Sohn eines Handwerksmeisters, sein Vater betreibt jedoch eine Steinmetzwerkstatt. Will Anton sich als Goldschmiedemeister mit einer eigenen Werkstatt etablieren, ist dies für ihn ein nahezu unmögliches Unterfangen. Wenn er Glück hat, dann ergibt sich für ihn die Möglichkeit, eine Meistertochter oder eine Witwe zu heiraten. Nur in seltenen Ausnahmen, wenn ein Meister keine Nachkommen hinterlässt, kann ein neuer Meister mit der Erlaubnis der Zunft eine Werkstatt übernehmen. Dadurch manifestierten die Zünfte unzählige Jahre ihre eigenen Kreise. Fremden war der Zutritt so nahezu unmöglich. Die Reglementierungen gehen auch weit in das private Leben hinein. Einem Handwerksgesellen war zum Beispiel eine Heirat untersagt, solange er nicht die Meisterprüfung abgelegt hatte. Selbst, wenn er als Geselle mit einer Frau ein Kind hatte, durfte er diese nicht heiraten.
In diesem Spannungsfeld befindet sich Anton Auling in meinem zweiten Roman. Er liebt Sophia, möchte sich aber in ferner Zukunft, nachdem er den Meistertitel erworben hat, mit einer eigenen Werkstatt selbstständig machen. Daher zaudert er, Sophia ein Heiratsversprechen zu geben.
Sophia Mohr hat den für die damalige Zeit sehr ungewöhnlichen Willen, sich beruflich auf eigene Füße zu stellen. Sie hat sich aus den starren Regeln ihres Elternhauses befreit, wo ihr keine Möglichkeit gegeben war, beruflich zu arbeiten. Dort blieb ihr, wie unzähligen Frauen im 18. und 19. Jahrhundert, nur die Möglichkeit, sich im Haushalt nützlich zu machen und nach einem geeigneten Heiratskandidaten Ausschau zu halten. Sophia aber verweigert diesen Weg, verlässt ihr Elternhaus und begibt sich schließlich nach Oldenburg. Dort gelingt es ihr, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Als sie jedoch versucht, sich mit einer eigenen Werkstatt selbstständig zu machen, scheitert sie, da dieses Lebensmodell in der damaligen Ordnung aus mehreren Gründen nicht möglich ist.
Zum einen ist es einer Frau untersagt, selbstständig geschäftlich zu handeln oder gar unternehmerisch tätig zu werden. Ist die Frau verheiratet, so ist ihr Mann für alle wirtschaftlichen Angelegenheiten zuständig. Er allein entscheidet über die Verwendung der finanziellen Mittel. Selbst über das Geld, was eine Frau mit in die Ehe einbringt, hat er die Entscheidungsgewalt. Ist eine Frau, wie in Sophias Fall, nicht verheiratet, so ist ihr Vater (nach seinem Tod ein männlicher Verwandter wie Bruder oder Onkel) berechtigt, die Geschäfte für sie zu führen.
Zum anderen lässt die Zunftordnung es nicht zu, sich so einfach mit einer Werkstatt niederzulassen, zudem noch mit einem Handwerk, das es bisher noch nicht von der Zunft anerkannt ist. Sie hat keine Gesellenausbildung und schon gar keinen Meisterbrief vorzuweisen. Schon für einen Mann wäre es unmöglich, sich unter dieser Bedingungen niederzulassen, für eine Frau erst recht.
Welche Entwicklung durchfährt Sophia in diesem Teil der Erzählung?
Zum einen gelingt es Sophia, sich in einer fremden Stadt auf eigene Füße zu stellen. Sie arbeitet als Verkäuferin in einer Ellenwarenhandlung und entwickelt sich darüber hinaus in ihrem Handwerk weiter, eigenen Schmuck aus Haaren anzufertigen. Es gelingt ihr, einen Goldschmiedemeister für ihre Arbeiten zu begeistern und ihn davon zu überzeugen, die Verschlüsse für ihre Schmuckstücke anzufertigen. Mit Können, Fleiß und Zähigkeit schafft sie es, sich einen eigenen Kundenstamm aufzubauen. So ist Sophia eine erfolgreiche Frau, der es nicht nur gelingt, ihren Lebensunterhalt selbstständig zu bestreiten, sondern darüber hinaus eine nicht unbeträchtliche Summe Geld zu verdienen.
Als sie aber „Nägel mit Köpfen“ machen will, indem sie ihre eigene Werkstatt eröffnet, muss sie notgedrungen scheitern. Dennoch ist Sophia am Ende keine Verliererin. Sie nimmt den Kampf auf und wehrt sich mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen.
Schafft Anton den Spagat zwischen Gesellenwanderung und seinem Eheversprechen gegenüber Sophia?
Die Antwort auf diese Frage kann ich für diesen Band noch nicht geben. Das Eheversprechen hat Anton Sophia nach langem Zaudern gegeben, aber ob er es einhalten kann und will, das möchte ich hier noch nicht vorwegnehmen. Um die Antwort auf diese Frage zu erhalten, müssen die Leser*innen auf den dritten Band „In gewissem Grade glücklich“ warten.
Womit kann der Leser dieses zweiten Bandes rechnen, wenn es um die Vermischung von Geschichte und Gegenwärtigkeit geht?
Wie schon der erste Band „Bevor der Herbst kommt“, ist auch dieses Buch zwar ein fiktiver Roman, die meisten der Personen aber, die darin vorkommen, haben am Ende des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts an den beschriebenen Orten gelebt. Ihre Lebensdaten sind in Kirchenbüchern und Archiven belegt und von mir zum Leben erweckt worden.
Zudem habe ich etliche geschichtliche Daten aufgegriffen und verarbeitet. In der Zeit nach der französischen Revolution war Europa im Umbruch. Die napoleonischen Kriege brachten Unordnung in die althergebrachten Strukturen, was die Menschen in den Städten und Dörfern oft am eigenen Leibe zu spüren bekamen. Truppendurchzüge, Einquartierungen, hohe Abgaben, Not und Hunger bestimmten nicht selten den Alltag. Die linksrheinischen Gebiete, so auch Bonn und Köln, wurden Französisch, die Folgen davon waren bis ins Herzogtum Oldenburg und Bistum Münster zu spüren.
Viel Zeit habe ich in die Recherche der Städte Oldenburg, Bremen, Hamburg und Lübeck investiert. Auch die in meinem Roman erwähnten Handwerker, Kaufleute und Gastwirte haben zu der Zeit in den Städten gelebt und gearbeitet.
Für die Stadt Oldenburg ist dies zum Beispiel zu recherchieren im „Oldenburger Häuserbuch“ von Günter Wachtendorf, einem Nachschlagewerk über die „Gebäude und Bewohner im inneren Bereich der Stadt Oldenburg“, welches ein wahrer Schatz für all diejenigen ist, die sich für die Geschichte der Stadt Oldenburg interessieren.
So interessiert es meine Oldenburger Leser*innen sicher, dass die Familie Herbart tatsächlich bis zum Jahr 1796 in dem Haus Lange Straße 82 (früher Nr. 90) gelebt hat, in dem in meinem Roman Sophia in einer Dachkammer lebte. Damaliger Eigentümer war der Justiz- und Regierungsrat Thomas Gerhard Herbart. Vielen Oldenburgern, Pädagogen, Psychologen und Philosophen ist der Name dessen Sohnes, Johann Friedrich Herbart, bekannt. Heute ist in Oldenburg ein Gymnasium in der Stadt nach ihm benannt.
In die Mauer beim Eingangsbereich zum Gertrudenfriedhof ist tatsächlich die Inschrift „Ewig ist so lang“ eingelassen, allerdings in einer alten deutschen Schreibweise: „O ewich is so lanck“. Die Sage über das arme Hausmädchen und den skrupellosen Kaufmannssohn ist in Oldenburg tradiert, ebenso wie die Legende von der Diebesbande rund um den Räuberhauptmann Jan Krahner.
Weit über die Grenzen der Stadt Bremen hinaus dürfte beispielsweise auch vielen Leser*innen der Name der Familie Wilkens ein Begriff sein. Er ist über Jahrhunderte hinweg für Silberwarenherstellung bekannt und unter dem Namen „Wilkens Silbermanufaktur seit 1810“ bis heute tätig. Der junge Martin Wilkens, der in meinem Roman eine wichtige Rolle spielt, hat zu der Zeit tatsächlich in Bremen gelebt und dort nach einigem Hin- und Her eine Goldschmiedeausbildung absolviert. Er wurde später der Begründer des Silberwarenunternehmens.
Auch Georg Niederegger, der sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Lübeck niedergelassen hat und mit seiner Marzipanproduktion weltberühmt wurde, ist den meisten von Ihnen sicherlich ein Begriff.
Viele Rückfragen hatte ich nach dem ersten Band „Bevor der Herbst kommt“ zu den von mir verwendeten Maß- und Währungseinheiten. Den geschichtlichen Quellen folgend, habe ich die Begriffe übernommen, die zum Ende des 18. Jahrhunderts verwendet wurden.
Zu meinem Erstaunen gab es innerhalb der Ländergrenzen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation erhebliche Unterschiede nicht nur bei den Währungseinheiten, sondern auch bei den. Gewichten und Längenmaßen. Die Länge einer Meile zum Beispiel wurde im Fürstbistum Münster, im Kurfürstentum Hannover, im Herzogtum Oldenburg oder in den Reichsstädten Bremen, Hamburg und Lübeck jeweils unterschiedlich festgelegt. Allein das muss für die Menschen zu der Zeit, zumindest für diejenigen, die nicht nur auf ihrer Scholle lebten, sondern etwa als fahrende Händler umherreisten, ein verwirrender Flickenteppich gewesen sein.
Frau Bagge, wird es Sophia schaffen, den Plan ihres Bruders zu vereiteln?
Das Wissen um ihre eigenen Stärken gibt Sophia die Kraft, sich für ihre Ziele einzusetzen. Sie wagt es, neue Wege einzuschlagen.
Als ihr Bruder ihr einen Strich durch die Rechnung machen will, sie gar mit dem verhassten reichen Bauerssohn aus Diepholz verheiraten will, der sie einst vergewaltigen wollte, da stemmt sie sich diesem Plan mit aller Kraft entgegen. Gelingt es ihr zunächst auch nicht, ihre beruflichen Pläne verwirklichen zu können, so ist sie nicht vernichtend geschlagen. Trotz allem bleibt ihr ein Weg, den sie weitergehen kann und auch in ihrem Scheitern bleibt sie stark.
Das Interview führte Christian Leeck.
Wuppertal, im September 2024.